Erinnerung an Prof. Dr. Gottfried Schramm (11. Januar 1929 – 26. Oktober 2017), den Erfinder des Forschungsverbundes „Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland“

 

Als an der Albert-Ludwigs-Universität die neue Besetzung des Lehrstuhles für Frühgeschichtliche Archäologie am damaligen Institut für Ur- und Frühgeschichte im Herbst des Jahres 1984 erfolgt war, regte Prof. Dr. Gottfried Schramm gleich ein Treffen im damaligen Sitz der Provinzialrömischen Archäologie an und lud dazu die Vertreter dreier Disziplinen aus verschiedenen Instituten der Universität ein: Prof. Dr. Karl Schmid (1923-1993) als Vertreter der Mittelalterlichen Geschichte, Prof. Dr. Hans Ulrich Nuber (1940-2014) als Vertreter der Provinzialrömischen Archäologie und Prof. Dr. Heiko Steuer als Vertreter der neu eingerichteten Frühgeschichtlichen Archäologie. Er schlug vor, dass diese drei Fachgebiete, die über unterschiedliche Quellen verfügen, aber den gleichen Zeitraum in unserem südwestdeutschen Raum erforschen, nämlich das erste Jahrtausend n. Chr, die einmalige Chance dieses Zusammenkommens nutzen sollten, um gemeinsam, interdisziplinär, neue Forschungsthemen zu formulieren und zu bearbeiten. Er selbst wollte als Vertreter der Osteuropäischen Geschichte eigentlich nicht daran teilnehmen, hatte aber die Anregung aus Göttingen mitgebracht. Dort gab es bei der Akademie der Wissenschaften eine „Kommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas“, die regelmäßig interdisziplinäre Symposien veranstaltete und dazu Referenten aus allen Disziplinen einlud, die zu den gewählten Themen etwas beizutragen hatten: Archäologie, Geschichte, Sprachwissenschaft und auch naturwissenschaftliche Fächer. Zu den Tagungen wurde Prof. Schramm entweder als Osteuropa-Historiker oder als Sprachwissenschaftler eingeladen. Dort hatte er u.a. auch Heiko Steuer kennengelernt, der nun in Freiburg das Kleeblatt der Fächer ergänzen konnte. Der Forschungsverbund „Archäologie und Geschichte“ kam zustande, am 2. November 1984 erkannte der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät IV die Ziele des Verbundes an, der damit gegründet war. Die Arbeit wurde sogleich aufgenommen mit einer ersten Tagung im Juni 1985.

Gottfried Schramm begleitete die Arbeit des Verbundes als spiritus rector über die vielen Jahrzehnte seines Bestehens, hielt Kontakt zu den Mitgliedern des Verbundes und legte ihnen auch seine eigenen Forschungen zur Kenntnisnahme und Begutachtung vor: So seine wieder neu abgedruckte Dissertation von 1954: „Zweigliedrige Personennamen der Germanen. Ein Bildetyp als gebrochener Widerschein früher Heldenlieder“. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 82 (Berlin, Boston 2013). Als Professor vertrat er von 1965 bis zur Emeritierung 1994 den für ihn neu eingerichteten Lehrstuhl für Neuere und Osteuropäische Geschichte an der Freiburger Universität. Aber seine etymologischen Studien behielt er bei. Erinnert sei nur an jüngere Aufsätze, anregend gerade auch für Archäologen: „Sprachliche Spuren des Einzugs von Ackerbau und Viehzucht in Binneneuropa“. Saeculum 59, 2008, 177-199 oder „Entlang der Drina zur Donau. Kundschafter als Namengeber am Vorabend einer neolithischen Landnahme“. Zeitschrift für Balkanologie 46, 2010, 64-75.

Sein offener Blick über die Fächergrenzen hinweg ließ ihn die Leitung des „Studium generale“ von 1971 bis 1994 übernehmen, und an der Redaktion der Freiburger Universitätsblätter war er bis zuletzt als Beauftragter des Rektors beteiligt – an einem Publikationsorgan, das sämtliche Disziplinen der Universität offen steht. Er betreute auch einige vom Forschungsverbund zusammengestellte Tagungsberichte.

Auch seine osteuropäischen Forschungen konnte er uns nahebringen: Für Archäologen sind die Wikingerzeit und die von der politischen Gegenwart abhängigen Interpretationen der Quellen ein zentrales Thema. Er verschickte seit Beginn der Zusammenarbeit seine Sonderdrucke auch an mich als Archäologen, z.B. „Sechs warägische Probleme“. Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 34, 1986, 363-373.

Interdisziplinär organisierte er Reisen und lud zu einer gemeinsamen Fahrt 1989 nach Russland ein, nach Leningrad (Petersburg), Staraja Ladoga und Novgorod. Diese kleine Gruppe bestand aus ihm, dem Osteuropakenner und Sprachwissenschaftler, aus Eduard Mühle als Historiker und aus mir als Archäologen mit dem damaligen Spezialgebiet der Wikingerzeit, so dass bei den Besuchen historischer und archäologischer Stätten jeweils ein die Fächer verbindendes Gespräch entstand. Unabhängig davon bekamen wir die politische Situation unmittelbar mit: Grundsätzliche Veränderungen waren zu spüren; man unterhielt sich über Perestrojka. Im obersten Stockwerk eines Restaurants in Leningrad sahen wir den Kreuzer Aurora am Ufer der Newa. Die Reise dauerte vom 21. August bis 4. September 1989, Gottfried Schramm selbst blieb noch länger zu einem Kongress in Archangel’sk. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, der Ostblock begann auseinander zu brechen; die formale Auflösung der Sowjetunion folgte Ende 1991.

Die früheren und heutigen Mitglieder des Forschungsverbundes „Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends in Südwestdeutschland“ trauern um den Erfinder und Initiator dieses interdisziplinären Unternehmens an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

(Heiko Steuer, Sprecher des Forschungsverbundes von November 1984 bis November 2011)

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